100 Kilometer in 24 Stunden: von Heiligenkreuz nach Mariazell

Die ultimative Herausforderung - was zwei Teilnehmer über Grenzen, Versagen und Freundschaft berichten.

Eine Gruppe junger Leute aus Wien haben eine ganz besondere Challenge auf sich genommen. Sie wollten den typischen Wallfahrerweg von Heiligenkreuz nach Mariazell, den man normalerweise in drei Tagen macht, in einem durch gehen. 100 km in 24 Stunden. Warum? Um die Erfahrung zu machen, dass man vielleicht manchmal zu mehr fähig ist, als man von sich denkt. Und um einen Schritt raus aus der Komfortzone zu wagen. Organisiert wurde diese Challenge von „Adventure and Faith“ vom Zentrum Johannes Paul II. Wir haben mit Sascha und Tobias über ihre Erfahrung gesprochen.

Sascha: „Ich wollte weitermachen, wenn mein Körper noch mitmachte.“

 

Wenn die Motivation "da" ist

Wieso bist du mitgegangen?

Um mich selbst herauszufordern, an meine Grenzen zu gehen, und ich mag so Challenges einfach echt gern. Ans Limit zugehen, macht mir Spaß - das glaub ich immer. Währenddessen hinterfrage ich schon ganz stark, was ich mir dabei gedacht hab, aber am Ende kann ich darauf zurückblicken und sagen, dass es eine echt coole Erfahrung war. Wir waren 25 Leute, die sich am Anfang nicht alle gekannt haben, und am Ende war es eine voll eingeschweißte Truppe. Das gemeinsame Mitfühlen und Motivieren machen das Gemeinschaftsgefühl richtig stark.

 

Was hat dich motiviert, wenn du nicht mehr konntest?

Einerseits der Aspekt, dass mein Körper noch kann. Ich hatte zwischendurch Phasen, wo ich am allerliebsten einen Kreislauf-Kollaps oder um knöcheln wollte, damit ich aufhören kann, weil ich einfach nicht mehr wollte und alles wehgetan hat. Es waren aber noch Reserven da, mein Körper hat noch funktioniert. Und meine Motivation war, wenn mein Körper noch kann, gibt es eigentlich keine Ausrede, nicht weiterzumachen. Dann darf mein Geist auch durch das Unangenehme durchbeißen und weitermachen. Ich hab mir Sachen gesucht, die mich motivieren und für die ich das aufopfere.

 

Nach Mariazell zu gehen, ist ja immer auch eine Wallfahrt. Hast du gebetet?

Ich habe um Kraft gebetet und um Durchhaltevermögen. Und den Rosenkranz, um Zeit totzuschlagen. Davon hat man nämlich genug! Der Marsch endete mit der Heiligen Messe in Mariazell und das finde ich sehr schön. Ziel ist nicht nur, in Mariazell anzukommen, sondern die Heilige Messe gemeinsam in Mariazell zu feiern.

 

Was nimmst du dir aus dieser Erfahrung mit in den Alltag?

Obwohl ich es unbedingt wollte und nur mehr10 km gefehlt haben, musste ich nach 90 km ausscheiden – und das war sau-hart für mich. Ich hab einfach nur geheult und mich wie der größte Versager gefühlt. In der heutigen Welt wird einem gesagt, dass man alles erreichen kann, wenn man es nur genug möchte. Aber ich glaube nicht, dass es so ist. Ab und zu muss ich mir eingestehen, dass ich nicht alles kann und vielleicht besser Gott das Steuer überlasse. Das war für mich eine sehr starke Erfahrung. Die Aufmunterung der anderen hat mir sehr geholfen und mich daran erinnert, dass es eine krasse Leistung war. Und obwohl ich die 100 km nicht ganz geschafft habe, habe ich mein Ziel erreicht: über meine Grenzen zu gehen - und das habe ich geschafft.

 

Tobias: „Ich gehe Probleme im Alltag jetzt gelassener an.“

 

Tobias: Man denkt stolz an all die Momente zurück, bei denen man aufgeben wollte und es nicht gemacht hat, da kommt wirklich das Gefühl des Ankommens auf.

Wieso bist du mitgegangen?

Weil mein Bruder diesen Marsch organisiert und er mich überredet hat, mich dieser Herausforderung zu stellen. Letztes Jahr war ich auch dabei, habe aber nach 70 Kilometer abgebrochen. Das hat mich ein Jahr lang beschäftigt und deswegen wollte ich es nochmal probieren.

 

Mit welchen Erwartungen bist du in die Sache reingegangen?

Mit der Erwartung, dass egal, was kommt, ich nicht aufgeben werde. Ich habe gewusst, dass die Stimmen in meinem Kopf, die mir einreden wollen, dass ich aufgeben soll und es eh schon genug ist, irgendwann kommen werden, aber ich bin mit dem festen Willen reingegangen, die 100 km durchzuziehen, was diesmal auch tatsächlich geklappt hat.

 

Wie war die Erfahrung rückblickend?

Das hat sich im Verlauf der letzten Wochen sehr geändert. Die ersten paar Tage nach dem Marsch überwiegt der Schmerz und man fragt sich, warum man sich das eigentlich angetan hat. Je mehr die Schmerzen weggehen, denkt man gern daran zurück und erinnert sich daran, wie schön das eigentlich war und welche schönen Momente man mit anderen erlebt hat. Nach den ersten paar Tagen nach Mariazell war ich überzeugt, das nie wieder zumachen. Umso länger es zurückliegt, kommt immer mehr der Reiz herauszufinden, ob ich es nochmal schaffen würde.

 

Was nimmst du dir aus dieser Erfahrung mit in den Alltag?

Ich gehe viele Probleme im Alltag jetzt viel gelassener an. Und ich bin selbstbewusster geworden. Wenn es beispielsweise aussichtslos erscheint, für eine Prüfung zu lernen, denk ich daran, wie ich die Challenge nach Mariazell auch gemeistert habe. Und das hilft mir, es gelassener zu sehen.

 

Wie fühlt man sich bei der Ankunft, wenn man gerade das „Unmögliche“ geschafft hat?

Es ist ein sehr interessantes Gefühl. Man ist emotional irgendwie ganz verwirrt. Natürlich sehr glücklich, aber gleichzeitig verlässt einen auf einmal alles, was sich aufgestaut hat an Sorge, Zweifel, Einsamkeit und Schmerz in den letzten 24 Stunden. Man denkt stolz an all die Momente zurück, bei denen man aufgeben wollte und es nicht gemacht hat, da kommt wirklich das Gefühl des Ankommens auf.

Das "Unmögliche" ist geschafft

 

Würdest du es weiterempfehlen?

Auf jeden Fall! Es ist eine sehr coole Herausforderung für Leute, die etwas erreichen wollen im Leben, ein Ziel haben und einen Schritt weiter wagen wollen. Man hat die Möglichkeit, sich selbst viel tiefer kennenzulernen, und zwar auf einer Art und Weise, wo man selten die Gelegenheit dafür hat: Was sind meine Gedanken, wenn ich mich alleine fühle, wenn alles weh tut und ich kurz vor dem Aufgeben bin.

 

Dieser Artikel ist erschienen im YOU! Magazin, Ausgabe 04, 2023, S.44f

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